Während der Bauarbeiten an der Kirche von 1988 – 1990 waren meine Gedanken oft weit weg in der Heimat Tur-Abdin. Dort hatte ich in meiner Jugendzeit zahlreiche Kirchen und Klöster besucht. Besonders an die schönen Altare konnte ich mich noch gut erinnern. Sie waren aus weißem Sandstein aus den Bergen des Tur-Abdin und hatten wunderschöne Verzierungen. Ich stellte mir eines Tages vor, wie schön es wäre, einen solchen Altar auch in der neu zu bauenden Kirche zu haben. Das wäre zum einen ein herrlicher Anblick und zum anderen ein Stück Heimat in der Ferne. Zuerst war es eine Art Traum. Wie sollte man Tonnen von Sandstein vom Südosten der Türkei 4.300 Kilometer nach Deutschland transportieren? Konnte das gut gehen? Doch dann fragte ich mich, ob man diesen Traum nicht doch Wirklichkeit werden lassen konnte. So rief ich im Sommer 1989 einen Freund in Midyat (Südost-Türkei) an und fragte diesen, ob er uns Sandsteine aus dem Tur-Abdin liefern könnte. Als er sagte, dass dies möglich sei, war meine Freude groß.
Ich habe zu dieser Zeit nur wenige Gemeindemitglieder von meinen Plänen unterrichtet. Denn wenn alle von diesem Vorhaben gewusst hätten, hätte es viele Diskussionen und große Bedenken gegeben wegen des Transports, der Kosten und der Bearbeitung der Steine und das ganze Projekt wäre möglicherweise schon im Vorfeld gescheitert. Ich konnte die eingeweihten Gemeindemitglieder von der Bedeutung eines solchen Altares überzeugen und sie unterstützen mich anschließend in meinem Vorhaben. Ich rief den Freund in Midyat an und bestätigte den Auftrag. Er schickte die Steine mit einem türkischen Transportunternehmen nach Deutschland. Die Steine wurden in einem LKW geladen und legten so einen Weg von 4.300 Kilometern zurück.
Als der LKW im Gütersloher Zollamt eingetroffen war, fuhr ich voller Erwartung dorthin. Ich kletterte auf den LKW und stellte erschrocken fest, dass die Steine nicht quadratisch geschnitten waren, sondern in unterschiedlicher Größe einfach aus den Bergen herausgeschlagen waren. Außerdem waren sie nicht alle einheitlich weiß, sondern es befanden sich auch rötliche und gelbliche Steine darunter. Als die Steine in der Hohenzollernstraße abgeladen wurden, kam deswegen auch Kritik von vielen Gemeindemitgliedern. Wie können solche Steine bearbeitet werden? Fragten sie mich. Die Kritik wurde von Tag zu Tag größer.
Wir mussten eine Lösung finden, wie wir die Steine in die gewünschte Form kriegen konnten:
Zunächst haben einige Werkzeugmacher aus der Gemeinde Werkzeuge hergestellt, um die Steine in quadratische Stücke zu schneiden. Außerdem haben wir einen in Augsburg lebenden aramäischen Steinmetz, Herrn Samuel Altunkaynak, nach Gütersloh geholt und mit der Bearbeitung der Steine beauftragt. Er hat drei Stunden lang versucht, einen ersten Rohling mit dem extra angefertigten Werkzeug zunächst quadratisch zu schneiden und dann zu bearbeiten. Doch mit dem letzten Schlag ging der Stein zu Bruch. Der Steinmetz war sauer, schmiss das Werkzeug aus der Hand und wollte schon nach Augsburg zurück.
Doch ich gab noch nicht auf. Ich legte zwei Steine in den Kofferraum meines Wagens und fuhr zunächst zu einer Marmorfirma. Dort wurde festgestellt, dass die Sandsteine für die Marmormaschinen zu weich waren. Auch der Versuch mit einer Holzsägemaschine war erfolglos. Schließlich habe ich in einem Baumarkt Handsägemaschinen gekauft. Doch auch damit gelang es uns nicht, die Steine quadratisch zu schneiden. Ich war in diesen Tagen sehr traurig. Hatte ich einen großen Fehler gemacht?
Um unseren Steinmetz zu beruhigen und in Gütersloh zu halten, habe ich dann von einem Hersteller in Delbrück ersatzweise zwei Paletten Gasbetonsteine bestellt. Ich habe mich aber weiter auf die Suche gemacht, wie wir die Steine, die uns aus der 4.300 Kilometer entfernten Heimat geliefert wurden, bearbeiten konnten. Eines Tages fuhr ich zu einem Gasbetonhersteller nach Hamm-Uentrop und trug auch dort mein Anliegen vor. Dort gab es im Ausstellungsraum eine Säge. Ich holte einen Stein aus dem Wagen und legte ihn unter die Säge. Als ich sah, wie der Stein sauber geschnitten wurde, fühlte ich mich wie neugeboren. Ich kaufte sofort eine dieser Sägen und fuhr damit zur Kirche.
Der Steinmetz war sehr erleichtert, als er sah, wie einfach und mühelos durch die neue Technik die Steine geschnitten werden konnten. Dann hat er sofort angefangen, den ersten Stein mit Ornamenten zu bearbeiten. Am Abend des gleichen Tages ging mein Vater hin – er ist gelernter Schmied – und nahm sich den zweiten Stein vor. Am nächsten Morgen sah der Steinmetz aus Augsburg zwei fertige Muster. Als mein Vater ihn danach fragte, welcher Stein denn nun der Stein war, den er – der Steinmetz -behauen hatte, konnte der Steinmetz dies nicht sagen, denn er konnte keinen Unterschied feststellen. Auch einige weitere unserer Gemeindemitglieder haben in kürzester Zeit das Meißeln der Steine erlernt. In acht Wochen haben wir insgesamt 370 Steine bearbeitet. Die Feinarbeiten haben auch etwa zwei bis drei Wochen gedauert, bis der Altar fertig war.
Ohne Skizzen und Zeichnungen entstand so der Altar. Mit bloßem Augen ist nicht einmal zu erkennen, wo ein Stein auf den anderen gesetzt wurde. Der Architekt Flöttmann, der immer mit Erstaunen den Bau des Altars beobachtete, fragte mehrmals: „ Herr Aydin, kann ich die Skizze mal anschauen?. Mein Antwort war natürlich: „ Es gibt keine Skizze.“
Die Ornamente des Altars stellen Symbole aus unserer Heimat dar. Dies sind Tauben, das Kreuz der orthodoxen Kirche und eine aufblühende Blume, die erst kürzlich in der Ruine einer etwa aus dem vierten oder fünften Jahrhundert stammenden Kirche im Tur-Abdin entdeck wurde.
Der Altar ist fünf Meter hoch und 3,20 Meter breit und hat ein Gewicht von etwa 17 Tonnen.